Urolithiasis ist eine Konkrementbildung in den ableitenden
Harnwegen, die häufig mit typischen Schmerzanfällen (Nierenkoliken)
verbunden ist. Von der Krankheit sind ungefähr 5% der
mitteleuropäischen Bevölkerung betroffen und zwar Männer häufiger als
Frauen. Urolithiasis darf nicht dem Nierensteinleiden (Nephrolithiasis)
verwechselt werden, hierbei befinden sich die Konkremente im
Nierenbecken oder Kelchsystem.
Artikel aus "Ärztliche Praxis":
Urolithiasis kann nicht effektiv therapiert werden, solange die Zusammensetzung der Steinen nicht bekannt ist
Harnstein-Analytik: Sorgenkind der Metaphylaxe
Erfolgreiche Interventionsmethoden täuschen darüber hinweg, dass
sie Rezidive nicht verhindern können. PD Dr. Norbert Laube und Dr.
Roger Stark, Bonn, plädieren deshalb für eine intensive Metaphylaxe.
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Steine in verschiedenen Lokalisationen:
Nierenausgussstein (li. oben), Nierenkelchsteine (li. unten, re. oben),
Blasenstein (re. Mitte), Harnröhrenstein (re. unten) Foto: Laube
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22.03.07 -
In den vergangenen 20 Jahren ist vieles über die Notwendigkeit der
genauen Kenntnis der Harnstein-Zusammensetzung, der -Analysetechniken
und einer systematischen metabolischen Abklärung der Ursachen der Urolithiasis
publiziert worden. In der Klinik und Praxis bisher eher wenig beachtet
wurden die in dieser Zeit gewonnenen neuen Erkenntnisse, die eine
deutliche Verbesserung der Metaphylaxe des Harnstein-Leidens ermöglichen.
Dies mag an der Euphorie über die weiter entwickelten chirurgischen
Interventionsmöglichkeiten, insbesondere die Extrakorporale
Stoßwellenlithotripsie ( ESWL), liegen. In deren Zuge rückte die
Notwendigkeit einer umfassenden
Stoffwechsel-Abklärung und regelmäßigen Therapiekontrolle in den Hintergrund des Praxisalltags.
Zunehmend
ist jedoch zu beobachten, dass nach dem anfänglichen "ESWL-Hype" in den
80er- und 90er-Jahren eine Renaissance der klassischen "ganzheitlichen"
Harnstein-Metaphylaxe unter Berücksichtigung der individuellen
Risikoparameter des Patienten einsetzt. Hierzu trägt die kontinuierlich
steigende Gesamtzahl an Stein-Patienten bei, die zu der ernüchternden
Erkenntnis führt, dass die Möglichkeit der Steinzertrümmerung weder
nebenwirkungsfrei ist noch eine Heilung bedeutet.
Angst um Arbeitsplatz erhöht Leidensdruck
Die
Tatsache, dass die Erstmanifestation häufig in dem für die berufliche
und familiäre Entwicklung wichtigen Alter um die Dreißig, also dem in
der Soziologie als "Rushhour des Lebens" bezeichneten Lebensabschnitt,
auftritt, belastet zunehmend das finanziell bereits angespannte
Gesundheits- und Sozialsystem. Häufiger Dienstausfall bei
rezidivierender Urolithiasis und die damit verbundene Angst, den
Arbeitsplatz zu verlieren, erhöhen zusätzlich den Leidensdruck der
Betroffenen.
Der Arzt wird also verstärkt versuchen müssen, dem Rezidiv
vorzubeugen. Hierzu gehören zu Beginn einer erfolgreichen Metaphylaxe
die Stein-Analytik und eine umfassende Urin-Diagnostik sowie eine im
Behandlungsverlauf regelmäßig durchgeführte Erfolgskontrolle.
Die
aktuell neu aufgelegten S3-Leitlinien des Arbeitskreises "Harnsteine"
der Deutschen Gesellschaft für Urologie geben detaillierte
Hilfestellung für eine sinnvolle Metaphylaxe und ihre praktische
Durchführung. Oberste Voraussetzung für alle therapeutischen und
rezidivprophylaktischen Maßnahmen ist die exakte Stein-Analyse.
Eine
detaillierte Aufklärung der pathophysiologischen Ursachen ist
notwendig, um eine gezielte Nachbehandlung einleiten zu können.
Hilfreich ist hierbei die Tatsache, dass jede Art von Steinen durch
spezifische Bildungsursachen gekennzeichnet ist.
Vorraussetzung
einer erfolgreichen Harnstein-Metaphylaxe ist daher die Analyse des
aktuellen Stein-Materials. Es ist außerdem sinnvoll, die von den
Patienten nicht selten gesammelten alten Steine zu untersuchen. Dies
ist oftmals bei der Rekonstruktion der Krankheitsgeschichte hilfreich,
denn entgegen der landläufigen Meinung bestehen Harnsteine häufig aus
mehr als einer Mineralkomponente und können im Laufe einer langjährigen
Krankheitsgeschichte in ihrer Zusammensetzung stark variieren. Ein sich
verändernder Patienten-Stoffwechsel, aber auch ein nicht optimal
angepasstes oder ein von Patientenseite nicht compliant durchgeführtes
Therapieschema kann zu einem Wechsel der Mineralparagenese des Steins
führen.
Wir beobachten im Klinikalltag häufig, dass auch
mehrjährige Therapiemaßnahmen auf Basis einer nur einmalig (oftmals
"Erstereignis") angefertigten Analyse der Steine durchgeführt werden,
von der trotz fortdauernder Rezidivsteinbildung nicht abgewichen wird.
Auf eine jeweils aktuelle Analyse wird oft aus Kostengründen
verzichtet. Dieses Vorgehen wird viel zu häufig mit dem Argument "gegen
das Steinleiden kann man nichts machen" entschuldigt. Jedoch kann man
die Urolithiasis nicht effektiv therapieren, solange man nicht die
genaue Zusammensetzung der Steine kennt.
Chemische Analyse birgt hohe Fehleranfälligkeit
Die
Harnstein-Analytik kann heute sehr leicht und genau durchgeführt
werden. Die Infrarot-Spektroskopie steht hierbei als zeitsparende und
kostengünstige Methode im Vordergrund. Noch genauere Analysen sind mit
der Röntgen-Diffraktometrie möglich. Obwohl ein ausgezeichnetes
Verfahren zur Harnstein-Analyse, konnte sich letztere jedoch aufgrund
der notwendigen apparativen Aufwendungen nicht in größerem Maße
durchsetzen.
Die noch vereinzelt eingesetzte
Polarisationsmikroskopie von Harnsteinen würde in vielen Fällen
ausreichen. Doch ist sie aufgrund der notwendigen langjährigen
intensiven Erfahrung in der Auswertung nicht zu empfehlen.
Die immer
noch gelegentlich zur Anwendung kommende chemische Analyse gilt
aufgrund ihrer sehr hohen Ungenauigkeit (Fehleranfälligkeit 94 Prozent)
als obsolet.
Die Infrarot-Spektroskopie nutzt die Wechselwirkung
elektromagnetischer Strahlung mit der zu untersuchenden Substanz. Diese
Wechselwirkung führt zu einer Schwächung der eingestrahlten Energie,
die den in den Substanzmolekülen angeregten Schwingungsniveaus einer
bestimmten Frequenz, einer diskreten Absorption, entspricht.
Die
Lage aller Absorptionen liefert die wichtigste Information im Spektrum
der Substanz. Ihre Lage und Intensität ist für jede chemische
Verbindung charakteristisch. Man bezeichnet das Infrarot-Spektrum auch
als "Fingerabdruck des Moleküls".
Molekülstruktur der Substanzen gut differenzierbar
Zusätzliche
Informationen geben Breite und Form der Absorptionsspektren, die man
als Banden bezeichnet. Daher ist die Infrarot-Spektroskopie besonders
zur Identifizierung von Stoffen geeignet. Diese Tatsache kann für die
genaue Harnstein-Analyse Verwendung finden. Die großen Gruppierungen
Harnsäure, Kalziumoxalate, Phosphate und Cystin unterscheiden sich in
ihrer Molekülstruktur deutlich voneinander, sodass sie leicht zu
differenzieren sind.
Für die qualitative Analyse werden Lage,
Intensität und Zahl der Absorptionsbanden untersucht. Die quantitative
Analyse wird durch Bandenbreite, -form und Veränderung der
Intensitätsverhältnisse ermittelt. Moderne Auswerteprogramme helfen dem
Anwender, verschiedene Mischkristalle sicher zu erkennen und deren
quantitative Verteilung zu bestimmen.
Weitere Vorteile der
Infrarot-Spektroskopie sind geringe Probenmengen (6 bis 8 Mikrogramm),
leichte Aufbereitung der Proben (Kaliumbromid-Tablette) und schnelle
Analytik bei gleichzeitiger qualitativer und quantitativer Untersuchung.
Fazit:
Nicht selten ergibt die nachträgliche Analyse der Steine einen
schleichenden Wechsel der Mineralogie - manchmal als Folge geänderter
Stoffwechselbedingungen oder Lebensgewohnheiten des Patienten, manchmal
aber auch als Ergebnis einer "Übertherapie" des initial richtig
erkannten Pathomechanismus. Letztere kann zum Beispiel bei zu stark
forcierter Alkalisierungs-Therapie, aber auch als Folge mangelnder
Patienten-Compliance mit Selbstmedikation ("viel hilft viel") eintreten.
"Abenteuerliche"
Analysen sind unter allen Umständen zu vermeiden. Der Patient sollte
mit der (den) in der Patientenakte vermerkten klaren mineralogischen
Bezeichnung(en) (Kalziumoxalat und Brushit) und den wichtigsten
lithogenen Komponenten seiner Steinart(en) vertraut gemacht werden
(Kalzium, Oxalat, Phosphat). Dies erleichtert die zielgerichtete
Selbstinformation des Patienten und beugt der in Zeiten der
Internet-Recherche oftmals allzu schnell einsetzenden Verwirrung des
Einzelnen vor.
Wer die Harnstein-Analyse nicht selbst vornehmen kann, sollte erfahrene Laboratorien mit der Untersuchung beauftragen.
Zu den Autoren:
PD Dr. Norbert Laube
Experimentelle Urologie
Klinik und Poliklinik für Urologie
Universitätsklinikum Bonn
Sigmund-Freud-Straße 25
53105 Bonn
E-Mail:
Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spam-Bots geschützt, Sie müssen Javascript aktivieren, damit Sie es sehen können
Dr. Roger Stark
Deutsches Harnsteinzentrum im Medizinischen Zentrum Bonn
Friedensplatz 16
53111 Bonn
E-Mail:
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Artikel aus "Ärztliche Praxis":
Urolithiasis: Update der Leitlinien
Eine rationelle Harnstein-Diagnostik in Verbindung mit einer
spezifischen Metaphylaxe kann nicht nur die hohe Rezidivrate senken,
sondern wirkt sich auch günstig auf die anfallenden Kosten aus.
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Schön, aber schmerzhaft: Nierensteine. Foto: KES/Prof. Füeßl
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13.02.07 -
Nach aktuellen Angaben des Statistischen Bundesamtes leiden 12,3
Prozent der Männer und 11,3 Prozent der Frauen in Deutschland im Laufe
ihres Lebens an Harnsteinen. Das sind rund ein Viertel mehr als noch
vor 20 Jahren. Das Harnsteinleiden gehört damit zu den typischen
Zivilisationserkrankungen. "Angesichts wachsender Prävalenz- und
Inzidenzzahlen ist eine Modernisierung der Harnstein-Leitlinie dringend
notwendig", fordert Dr. Michael Straub, Sprecher des Arbeitskreises
Harnsteine.
Ziel
der Arbeitsgruppe ist es, mit der bereits im letzten Jahr initiierten
Überarbeitung der Leitlinien einen Qualitätsstandard zu definieren, der
sowohl in der Klinik als auch in der Praxis durchführbar und
gleichzeitig kosteneffektiv ist.
Als primäre Diagnostik eignet
sich neben der Erstellung des Urinstatus und der klinischen
Untersuchung nach wie vor die renale Sonografie. "Meist sind hierbei
schon indirekte Zeichen einer Harnabflussstörung sichtbar", erklärt Dr.
Axel Heidenreich von der Klinik und Poliklinik für Urologie der
Universität Köln. Allerdings liege die Sensitivität nur bei 40 bis 60
Prozent, abhängig von Größe und Lokalisation des Steins. Dennoch kann
laut Heidenreich in manchen Fällen, insbesondere bei Kindern, durch
eine Sonografie und eine Röntgenleeraufnahme die Steindiagnose bereits
gesichert und entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.
Bleibt
die Diagnose weiterhin unklar, empfehlen die Leitlinien eine
Ausscheidungsurografie (AUG). Diese gibt zusätzlich Auskunft über die
Nierenfunktion, den Grad der Obstruktion sowie über Steingröße und
-lokalisation. Liefert jedoch auch die AUG keine ausreichenden
Hinweise, kommt ein natives Spiral-CT zum Einsatz. "Die
Computertomografie hat den Vorteil, auch kleine Steine von zwei bis
drei Millimetern mit einer hohen Treffsicherheit nachzuweisen", betont
der Urologe.
Jeder Zweite erleidet ein Rezidiv
Bis
zu 80 Prozent der diagnostizierten Harnsteine in Deutschland sind
Kalziumsteine, vor allem Calciumoxalatsteine. Harnsäure-, Struvit- und
Zystinsteine kommen dagegen wesentlich seltener vor. Abhängig von der
Harnstein-Zusammensetzung liegt die Gesamtrezidivrate bei etwa 50
Prozent. "Durch gezielte metaphylaktische Praktiken kann die
Rezidivrate des Harnsteinleidens deutlich gesenkt werden", meint Dr.
Walter Ludwig Strohmaier, Chefarzt der Urologischen Klinik des
Klinikums Coburg, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität
Würzburg. "Die tägliche Praxis zeigt jedoch, dass mehr als die Hälfte
dieser Patienten nur ein weiteres Harnsteinrezidiv in ihrem Leben
entwickelt."
Für ein rationelles und kosteneffektives
Metaphylaxeprogramm sei daher die Unterscheidung zwischen solchen
Niedrigrisiko-Patienten und Patienten mit einem hohen Rezidivrisiko
unabdingbar.
Basis für eine Risikofaktoren-bezogene Abklärung
sollte zunächst immer eine Harnsteinanalyse mittels
Infrarot-Spektroskopie oder Röntgen-Diffraktometrie sein. Erst dann
erfolgt die Einschätzung des Risikoprofils anhand von Steintyp, Blut-
und Urinstatus, Begleiterkrankungen, Anamnese und Krankheitsverlauf.
"Bei Patienten mit einem geringen Rezidivrisiko ist neben einer
kostengünstigen Basisdiagnostik keine weitere Harnsteinabklärung nötig,
da sie mit einer konsequent angewendeten allgemeinen
Harnstein-Metaphylaxe ausreichend versorgt sind", so Strohmaier.
Liegen
jedoch ein oder mehrere Risikofaktoren vor, ist eine weitere
metabolische Abklärung indiziert, die sich nach der jeweiligen Steinart
richtet und wiederum spezifische Maßnahmen erfordert.
Alpha-Blocker reduzieren Analgetika-Bedarf
Mit
extrakorporaler Stoßwellen-Lithotripsie (ESWL), perkutaner
Nephrolitholapaxie (PCNL), rigider und flexibler Ureterorenoskopie
(URS) stehen den Patienten heute mehrere wirksame und gut erprobte
Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. "Welches Verfahren allerdings die
beste Steinfreiheit und geringste Retreatment-Rate bewirkt, hängt vor
allem von Lage, Größe, Zusammensetzung und Beschaffenheit des Steines
ab", erklärt Dr. Peter Alken von der Urologischen Universitätsklinik,
Klinikum Mannheim.
Bei der Behandlung von Nierensteinen bleibt
nach wie vor die ESWL Therapie der Wahl. Auch Steine im proximalen
Harnleiter werden vorwiegend mittels Stoßwellen zertrümmert. Im
distalen Ureter ist jedoch die URS für die größeren Steine effektiver
und daher der ESWL vorzuziehen.
Bei sehr kleinen Steinen von ein
bis drei Millimetern kommt es in 78 Prozent der Fälle zum
Spontanabgang. Begleitend empfiehlt der Arbeitskreis Harnsteine in den
Leitlinien den Einsatz von Alpha-Blockern, deren Wirksamkeit bereits
zahlreiche evidenzbasierte Studien nachgewiesen haben. "Damit kann
nicht nur die Dauer bis zum Abgang, sondern auch die Reduzierung von
Analgetika erreicht werden", ergänzt Alken.
ÄP-HINTERGRUND
Typische Harnstein-Bildner und ihre Risikofaktoren
Liegen ein oder mehrere der genannten Risikofaktoren vor, sollte eine erweiterte metabolische Harnsteinabklärung erfolgen.
hoch rezidivierende Harnsteinbildung (mindestens drei Steine in drei Jahren)
Infektsteinbildung
Harnsäuresteinbildung (Gicht)
Kinder und Jugendliche
genetisch
determinierte Steinbildung (Zystinurie, primäre Hyperoxalurie, RTA Typ,
2,8-Dihydroxyadenin, Xanthin, zystische Fibrose)
Brushitsteinbildung
Hyperparathyreoidismus
gastrointestinale Erkrankungen (Morbus Crohn, Malabsorption, Colitis)
Einzelnierensituation
residuale Steinfragmente (drei Monate nach Steintherapie)
Nephrokalzinose
bilaterale große Steinmasse
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